Solange es Ethereum gibt, ist das Flippening ein Meme. Gemeint ist die Ablösung von Bitcoin durch Ethereum an der Spitze der Kryptowährungen; übersteigt die Marktkapitalisierung von Ethereum die von Bitcoin, ist das Flippening vollzogen.
In einem am gestrigen Montag, 26. September, erschienenen Kommentar legt mein Kollege acht Gründe dar, wieso Ethereum Bitcoin eines Tages flippen wird. Ich habe da meine Zweifel.
Die Stock-to-Flow-Falle
In dem Artikel heißt es unter anderem:
Upgrades am Bitcoin Code lassen sich nur sehr langsam umsetzen und BTC als Vermögenswert hat keinen direkten Wertzuwachs durch Burning-Mechanismen, Protokolleinnahmen oder ähnlichem
Anhand eines inhärenten Burning-Mechanismus einen Wertzuwachs abzuleiten, ist zu kurz gedacht. Richtig ist, dass der Supply von Ether (ETH), des nativen Token der Ethereum Blockchain, tendenziell rückläufig ist. Die Website ultrasound.money zeigt das bisherige ETH-Angebotswachstum und leitet aus dem aktuellen Transaktionsgeschehen eine mögliche künftige Supply-Kurve ab. Das Problem solcher Prognosen ist, dass niemand genau sagen kann, wie sich das Angebotswachstum von Ether entwickeln wird, weil es davon abhängt, wie stark die Blockchain genutzt wird.
Schließlich verbrennt die Blockchain seit dem Ethereum Improvement Proposal (EIP) 1559 automatisch einen Teil der in Gas gezahlten Transaktionsgebühren. In anderen Worten: Je mehr Menschen auf Ethereum Transaktionen hin-und-herschieben, desto höher das Gebührenniveau und desto höher auch die Burn-Rate.
ETH-Angebotswachstum unklar
Hier sehe ich zwei Probleme: Zum einen ist vollkommen unklar, wie stark Ethereum in Zukunft genutzt wird. Zum anderen impliziert ein sinkender Supply längst noch kein Kurswachstum. Das ergäbe sich einzig durch ein Zusammenspiel mit wachsender Nachfrage – das gescheiterte Stock-to-Flow-Modell lässt grüßen.
Die Begrifflichkeit “ultrasound money”, die die ETH Community in Anlehnung an Bitcoin ins Leben gerufen hat, läuft folglich fehl. Denn anders als bei Ethereum kann bei Bitcoin das zukünftige Angebot tatsächlich mit mathematischer Präzision prognostiziert werden. Solides Geld bedeutet nämlich nicht, dass das Angebot möglichst knapp, sondern dass die Supply-Kurve transparent ist.
Bei Bitcoin ist das der Fall, bei Ethereum eben nicht, was uns auch schon zu meinem zweiten Argument führt: Verifizierbarkeit.
Ethereum ist nicht dezentraler als Bitcoin
In seinem Artikel schreibt mein Kollege:
Mein letztes, und für viele Bitcoin-Anhänger vermutlich umstrittenstes Argument, ist, dass Ethereum dezentraler ist als Bitcoin.
Dezentralität ist eine graduelle Frage. Pure Dezentralität kann es nicht geben, es wird immer Netzwerkteilnehmer:innen geben, die über mehr oder weniger Macht verfügen. Bei Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum ist der Grad an Dezentralität aber entscheidend. Schließlich definiert sie, ob das jeweilige Projekt die Kernversprechen der Technologie erfüllen kann: Zensurresistenz, Permissionlessness und Unabhängigkeit von Führungspersonen. Gibt es etwa Blockvalidierer, seien es Miner oder Staking Nodes, die über zu viel Marktmacht verfügen, könnten Transaktionen zensiert oder gar Doublespends durchgeführt werden – ein Gau für die Blockchain.
Noch mögen sowohl Bitcoin als auch Ethereum dezentral genug sein. Aber was ist in zehn Jahren? Beide Kryptowährungen sind noch jung, ihre Feuertaufe steht noch aus. Wenn sowohl der politische, als auch ökonomische Druck auf die Projekte größer wird, wird sich zeigen, welche Währung ihm standhalten kann. Ich setze auf Bitcoin.
Schließlich ist der Einsatz von Energie für die Validierung von Blöcken bei Bitcoin kein Bug, sondern ein Feature. Sie zieht eine Art Brandmauer gegen Einflüsse von außen – eine Übernahme der Blockchain ist so vollkommen ausgeschlossen.
Der Einsatz von Kosten in Form von Energie verhindert zudem, dass sich marktbeherrschende Stellungen einfach so ausbauen lassen. Bei Ethereum hingegen reicht ein einmaliges Investment, um einen großen Staking Node aufzusetzen, der dann passiv seine Stellung abermals ausbaut. Denn: Wer die meisten Ether stakt, hat die größte Chance, einen Block zu verifizieren und die Rewards dafür einzustreichen – eine Art Negativspirale in die Zentralität könnte die Folge sein.
Full Nodes verifizieren jede Transaktion
Doch Mining Nodes sind nicht die einzigen Knotenpunkte, die Bitcoin dezentral machen. Es sind die zehntausenden Full Nodes, die jede Transaktion mit dem UTXO Set abgleichen und die Miner auf Einhaltung der Konsens-Regeln kontrollieren. Die Einrichtung einer Full Node kostet weniger als 150 Euro; so kann jeder Bitcoiner und jede Bitcoinerin zur Aufrechterhaltung der Dezentralität beitragen.
Dass das keine brotlose Kunst ist, zeigt ein Blick auf die sogenannten Fork Wars. 2017 wollte ein Konsortium aus verschiedenen Vertreter:innen der Bitcoin-Industrie, darunter große Mining Pools, die Blockgröße verdoppeln. Da dies zum Nachteil der Dezentralität gegangen wäre, wehrten sich die Bitcoiner:innen gegen das “New York Agreement” und verhinderten erfolgreich die Vergrößerung der Blockgröße. Stattdessen führte man SegWit ein und ebnete so den Weg für Lightning. Wer bei Ethereum zum Validierer werden will, muss zunächst 32 ETH zusammenkratzen – das ist nichts für den schmalen Geldbeutel.
Mining ist nicht umweltschädlich
Das Marketing-Argument Nummer eins für Proof-of-Stake-Kryptowährungen ist die vermeintliche Energieeffizienz. Ausgelöst durch politische Debatten um den ökologischen Fußabdruck gibt es neben Bitcoin eigentlich keine nennenswerte Kryptowährung mehr, die auf Proof of Work (PoW) setzt. Mit dem Merge ist Ethereum als vorletzter großer Vertreter von PoW auf Proof of Stake (PoS) umgestiegen.
Der politischen Forderung mag Ethereum damit Genüge getan haben. Doch dass die auf Kosten der Dezentralität und damit ultimativ auf Kosten der Sicherheit geht, habe ich bereits erwähnt. Außerdem stammt ein Großteil der für Bitcoin verwendeten Energie aus erneuerbaren Energiequellen – Tendenz steigend.
Die Wall Street steht auf Bitcoin
Es mag sein, dass sich die regulative Daumenschraube um PoW-Währungen enger zieht. Dass der Markt aber nach wie vor nach einer mittels Energieeinsatz gesicherten Kryptowährung verlangt, beweist die anhaltende institutionelle Nachfrage. 808.688 BTC im Wert von 16 Milliarden US-Dollar sind in den Kassenbüchern von ETFs. Weitere 258.531 BTC – oder 1,2 Prozent des verfügbaren Angebots – befinden sich in den Händen börsennotierter Unternehmen wie MicroStrategy. Das geht aus Zahlen von bitcointreasuries.org hervor. Abgesehen von verbrieften Produkten wie der Grayscale Ethereum Trust gibt es eigentlich kein nennenswertes Finanzprodukt, das auf ETH setzt.
Während Ethereum mit einer Marktkapitalisierung von 166 Milliarden US-Dollar auf Rang 60 der größten Assets der Welt steht, ist Bitcoin regelmäßig in der Top-10. Mit einer Marktkapitalisierung von 386 Milliarden USD belegt das digitale Gold Stand jetzt den zwölften Platz. In anderen Worten: Bitcoin ist ein Asset von Weltrang, Ethereum nicht.
Bitcoin: Ein fertiges Produkt
Es mag sein, dass der ESG-Gedanke bei so manchem institutionellen Investor ein Umdenken anregt. Dass die Wall Street nun in Scharen aus Bitcoin strömt, ist aber nicht wahrscheinlich. Bereits vor dem Merge gab es eine ganze Reihe an Proof-of-Stake-Coins, keiner von ihnen hat nennenswertes Interesse von institutionellen Anlegerinnen und Anlegern angezogen. Und mehr noch: Während Ethereum als Proof-of-Stake-Plattform alleine innerhalb der Top-10 der Kryptowährungen eine ganze Reihe an Konkurrenten hat, hat BTC mit PoW jetzt ein vollkommenes Alleinstellungsmerkmal. Anders gesagt: Seit dem Merge ist Bitcoin die einzige pure Kryptowährung mit einer byzantinischen Fehlertoleranz im originalen Entwurf von Satoshi Nakamoto und damit quasi konkurrenzlos.
So könnte die vermeintliche Agilität Ethereum schlussendlich zum Verhängnis werden. Bitcoin mag in seiner Weiterentwicklung konservativ sein. Im Gegensatz zu Ethereum ist das Wertversprechen aber eindeutig: Nämlich eine dezentrale, zensurresistente Alternative von Gold zu sein. Ethereum hingegen ist mal Weltcomputer, mal Smart-Contract-Plattform und jetzt auf einmal noch Ultrasound Money. Na, was denn nun?
Fazit
Am Ende des Tages ist der Streit um den ersten Platz auf CoinMarketCap aber ohnehin viel Schall und Rauch. Ethereum und Bitcoin sind zwei vollkommen verschiedene Assets; sie nutzen unterschiedliche Technologien, um in Zukunft andere Bedürfnisse zu erfüllen. Selbst im hypothetischen Fall eines Flippenings büßt Bitcoin keines seiner Wertversprechen ein. Es wird immer noch das transparenteste und härteste Geld in der Geschichte der Menschheit bleiben und damit vor allem eins: ein ziemlich gutes Investment.
Darauf können wir uns doch einigen.
Author: Dennis Griffin
Last Updated: 1698554641
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