Ob die Winde mir heute gewogen sind? Vielleicht kann ja Aeolos, der griechische Gott des Windes, helfen …
Aeolos von Arve D. Fühler und Guido Eckhof ist das neue Brettspiel aus dem noch recht jungen Verlag Spiel das! und kommt mit gleich vier kleinen Varianten und Erweiterungen. Die gelungenen Illustrationen stammen von Marco Armbruster. Mit bunten Schiffen segeln wir durch die Inselwelt – stets gegen die Zeit, stets den mythischen Windsack im Blick. Denn der ist fast immer zu leer.
Kurze Übersicht: Wie funktioniert das Segelspiel Aeolos?
Wie Odysseus bekomme ich einen Windsack vom Windgott Aeolos, der zu Beginn immerhin nicht ganz leer ist. Das ist wichtig, wenn meine Segelwerte nicht passen. Aber der Reihe nach:
Im Grunde nutzt Aeolos einen Worker-Placement-Mechanismus mit Schiffen.
Um eins meiner Schiffe zu einer der Inseln zu bringen, muss ich mithilfe meiner Handkarten den Zahlenwert (= Segelwert) erreichen, der neben dem Inselhafen aufgedruckt ist. Will ich also zu Hafen Nummer Sieben, muss ich einen Segelwert von Sieben erreichen. Und da kommt eben der Wind ins Spiel: Pro abgegebenem Windplättchen kann ich meinen Karten-Segelwert erhöhen oder reduzieren. Dumm nur, dass ich Wind auch für andere Aktionen brauche – und dass ich nie mehr als fünf Windplättchen mit in die nächste Runde nehmen kann. Das kann mir buchstäblich den Wind aus den Segeln nehmen. Tja, der Windsack ist eben klein.
Bin ich erst mal beim Hafen angekommen, kann ich die jeweilige Hafenaktion nutzen:
- So bekomme ich z. B. weitere Schiffe,
- kann Siedlungen bauen,
- Kristalle einsammeln,
- meinen Propheten zum Tempel bewegen
- oder einen der Flüsse hinaufschippern, um einen Tempel zu erreichen
- und vieles mehr.
Am Tempel kann ich das Schiff opfern (oder den Propheten dorthin schicken) und bekomme dafür Boni und vor allem Siegpunkte. Denn auch im Reich der Winde gilt: Gewonnen hat, wer am meisten Siegpunkte hat. Das Spiel endet, wenn wir den Nachziehstapel je nach Spielerzahl ein- oder zweimal durchgespielt haben. Und das ist grundsätzlich viel zu schnell der Fall, denn: Aeolos ist auch ein Rennspiel.
Setzen wir die Segel!
Bei Aeolos gibt es mehr interessante Aktionen, als ich in einem Spiel umsetzen kann. Entweder mir fehlt der nötige Wind, ich habe nicht die passenden Zahlenkarten oder mir reicht schlicht die Zeit nicht, um alles zu machen, was ich mir vorgenommen habe. Dadurch bin ich ständig in einem Optimierungsdilemma.
Welche der vielen Möglichkeiten bringt mir am meisten?
Interessant ist der Kartenmechanismus zum Segelwert. Auf dem Spielfeld gibt es zwei Ablagestapel, einen in Lila und einen in Grau. Lege ich meine Handkarte ab, muss sie farblich zum gewählten Stapel passen. Der Segelwert ergibt sich dann aus der Summe beider Karten – meiner eben gelegten Handkarte und der bereits ausliegenden zweiten Karte.
Längerfristig vorausplanen kann ich an dieser Stelle daher nicht, schließlich weiß ich nicht, welche Karten meine Mitspielenden legen werden, bis ich dran bin. Ein vergleichsweise großer Glücksfaktor, der sich aber gut ins Spiel einfügt und auch thematisch passt.
Taktische Entscheidungen bringt der Segelwert dennoch mit sich: Nehme ich in Kauf, dass ich nun doch Wind abgeben muss, um zu meinem Wunschhafen zu kommen? Oder schieße ich meine Pläne in den Wind und steuere einen anderen, besser erreichbaren Hafen an?
Spielmechanismen bei Aeolos
Neben der Sache mit dem Segelwert kombiniert Aeolos altbekannte Mechanismen: den schon erwähnten Rennspiel-Charakter, Set Collection und Worker-Placement. Sammle ich Kristalle in möglichst vielen Farben, bekomme ich entsprechend Siegpunkte.
Den lilafarbenen Kristall gibt es ausschließlich bei einem der Tempel, für die volle Punktzahl ist also eine Hürde eingebaut. Doch wenn ich einen Kristall sammle, kann ich an diesem Hafen nichts anderes mehr tun. Dabei gibt es so vieles, das wichtig wäre. Zum Beispiel neue Schiffe bauen.
Wie bei vielen klassischen Worker-Placement-Spielen habe ich zu Beginn nicht alle „Worker“, sondern muss sie mir über Aktionen erspielen. Das kennt man von bevölkerungsbezogenen Spielen wie Stone Age oder Village. Hier werden keine weiteren Männchen „geboren“ oder angeheuert, sondern ich zimmere mir an einem bestimmten Hafen ein weiteres Schiff. Zusätzlich kann ich Siedlungen bauen (eine andere Hafenaktion) und muss dann dort, wo ich ein Haus habe, nicht mehr mit einem Schiff vor Ort sein, um die Aktion nutzen zu können.
Damit ich Schiffe bei den Tempeln opfern kann, brauche ich diesen Nachschub auch. Ähnlich wie bei Village, wo die „Worker“ irgendwann auf dem Friedhof landen.
Das Wind-Dilemma
Zu den Tempeln gelange ich ausschließlich über die Flüsse: Entweder ich starte bei einem der drei Festlandhäfen oder ich springe mittels hohem Segelwert direkt auf ein Flussfeld (auch dort gibt es Zahlen, allerdings nur sehr hohe). So oder so: Ohne Wind komme ich hier nicht weit. Will ich einen Fluss entlangfahren (vom Hafen oder vom Flussfeld aus), brauche ich eine bestimmte Hafenaktion und muss für das Vorankommen mit Wind bezahlen.
Das Dilemma dabei ist: Im Basisspiel liegt diese Aktion bei Hafen Drei, und eine so kleine Zahl schafft man selten ohne Windplättchen (dasselbe gilt für die hohen Flusszahlen). Wenn ich aber den Segelwert mit Wind anpasse, woher nehme ich dann nur den Wind für die Aktion an sich? Ihr erinnert euch: Der Windsack hat nur Platz für maximal fünf Windplättchen … Direkt auf einen Tempel springen kann ich übrigens nicht, dorthin komme ich nur von einem Flussfeld aus mittels besagter Hafenaktion – mit Wind.
Also doch lieber zu Fuß zum Tempel? Wenn das so einfach wäre … auch der Prophet muss Stufen erklimmen und braucht Rückenwind. Sprich: Auch hier muss ich mit Wind bezahlen. Und das Timing muss stimmen: Der Prophet bringt mir je Stufe Punkte für bereits Erreichtes wie die Anzahl meiner Schiffe oder Siedlungen – letzteres macht wenig Sinn, wenn ich noch nicht gebaut habe. Knifflig ist die letzte Stufe, hier bekomme ich Punkte pro Windplättchen. Wenn denn noch welche übrig sind nach dem Anpassen des Segelwerts und dem Bezahlen des Rückenwinds.
Weh, Windchen, wehe
Da wäre man manchmal gerne die Gänseprinzessin aus dem Grimm’schen Märchen. Die kann den Wind einfach herbeirufen. Aber bei Aeolos habe ich ja den Windgott. Mit Glück greift der mir sogar direkt unter die Arme bzw. ins Segel. Es gibt nämlich auch einen Hafen, bei dem ich mir die Gunst der Götter sichern kann: in Form von Aktionskarten, die wertvolle Boni bringen. Zum Beispiel eben Windplättchen. Oder Hilfe beim Siedlungen bauen u.ä. Damit kann ich aber natürlich auch Schiffbruch erleiden. Wenn ich bereits alle Siedlungen gebaut habe, zum Beispiel. Dann ist die Karte am Spielende zwar noch Siegpunkte wert, bringt mich aber nicht so voran wie erhofft. Das Glück ist manchmal eben doch entscheidend.
Taten- und hilflos auf günstigen Wind warten muss ich trotzdem nicht, ich kann mir auch selbst Wind besorgen. Unter anderem an einem Hafen, das kostet mich dann aber eine Aktion. Seufz. So ist das eben mit dem Wind-Dilemma. Dennoch: Mit Geschick, Taktik und Timing kann es sogar gelingen, beim Propheten richtig viele Siegpunkte für Windplättchen zu bekommen. Und genau das macht den Reiz des Wind-Dilemmas aus: das ständige Abwägen und Optimieren.
Wer sticht gern mit Aeolos in See?
Gehobenes Familienspiel oder leichtes Kennerspiel? Darüber lässt sich bei Aeolos vortrefflich streiten.
Der erwähnte Glücksfaktor passt eher ins Familienspiel. Angesichts der taktischen Tiefe und der Regelkomplexität kann man es aber durchaus auch im unteren Kennerspielbereich verorten – zumal es da ja auch noch die eingangs erwähnten Varianten und Erweiterungen gibt. Diese sorgen nicht nur für mehr Varianz, sondern steigern die Spieltiefe behutsam nach und nach. Zum Beispiel haben die Spielertableaus auf der Rückseite eine Variante, bei der die Spielenden je einen bestimmten Vorteil haben (etwa Boni beim Einsammeln von Kristallen). Das fördert individuell eine bestimmte Spielweise und unterstützt gerade auch Gelegenheitsspielende ganz nebenbei beim Ausprobieren verschiedener Strategien.
Die unterschiedlichen Module lassen sich beliebig kombinieren und erinnern ein wenig an das Baukastensystem von Ambrosia oder Broom Service, das zwar Kennerspiel des Jahres 2015 war, aber gelungen auf der Grenze zwischen Familien- und Kennerspiel balanciert. Aeolos schafft das auch (ist dabei aber noch einen Tick näher am Familienspiel als Broom Service). Spielerfahrene Familien werden gut ins Spiel finden (die Altersangabe mit ab 10 Jahren ist passend) und auch Kennerspielenden wird mit Aeolos nicht langweilig. Einzig Expertenspielenden könnte es auf Dauer zu einfach werden.
Wie viele Matrosen braucht es für ein gelungenes Segelmanöver?
Auch darüber lässt sich streiten. Grundsätzlich funktioniert Aeolos in jeder Besetzung gut. Was einem am besten gefällt, ist in diesem Fall Geschmacksache. Ich persönlich mag vor allem das Zwei-Spieler-Spiel, bei dem das Spielende subjektiv noch schneller da ist als mit mehr Mitspielenden. Aber auch das Segeln mit größerer Mannschaft hat durchaus seinen Reiz.
Tolle Atmosphäre beim Rennspiel Aeolos
Besonders schön ist dann die Tischpräsenz mit all den bunten Schiffen, Siedlungen und Figuren. Aeolos hat eine tolle Haptik und Mittelmeerflair – und eben dadurch auch einen gewissen Aufforderungscharakter, der schon beim Auspacken Lust aufs Spiel macht.
Die Anleitung hätte eigentlich ein lobendes Sternchen verdient – sie ist wunderbar einfach, direkt und sehr verständlich geschrieben. Genau so soll eine gute Spielanleitung sein! Nur leider hat sie bei näherem Hinsehen dann doch ein paar Mängel, zum Beispiel wird bei der Endwertung ein Punkt vergessen, der eigentlich noch Siegpunkte bringt. Darum leider doch keine Bestnote für die Anleitung, die aber ansonsten wirklich positiv zu erwähnen ist.
Fazit: Mit Aeolos alle Segel setzen? Immer wieder gern
Hohe Wellen schlagen wird dieses Segelspiel vielleicht nicht unbedingt, schließlich vereint es erst mal „nur“ altbekannte Mechanismen. Diese Kombination funktioniert aber wunderbar und Aeolos bietet außerdem mit dem Kartenmechanismus einen interessanten Ansatz. Das Durchsegeln der Inselwelt macht einfach Spaß. Und das immer wieder aufs Neue, denn nicht zuletzt durch die kleinen Erweiterungen/Varianten bleibt der Wiederspielreiz bestehen. Familien-, Gelegenheits- und Kennerspielende sind hier genau richtig. Der Rennspielcharakter in Kombination mit dem ständigen Wind-Dilemma, aber auch die taktischen Kniffe (wie das richtige Timing bei der Windwertung des Propheten) machen Aeolos reizvoll. Und das tolle Spielmaterial sorgt für mediterrane Atmosphäre. Aeolos ist fast schon eine kleine Spielperle. Segel setzen? Segel setzen!
Infos zu Aeolos
- Titel: Aeolos
- Verlag: Spiel das!
- Autor: Arve D. Fühler, Guido Eckhof
- Spieleranzahl (von bis): 2-4
- Alter (ab oder von bis in Jahren): 10
- Dauer in Minuten: 60
- Jahrgang: 2022
Author: Brendan Gray
Last Updated: 1702353122
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Rating: 3.6 / 5 (98 voted)
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